Christliche Wallfahrten und moderner Tourismus 21. Oktober 2009 Golovkov, Mark, Erzbischof Was ist eine Wallfahrt? Wieso können Wallfahrten nur orthodox sein? Was ist der Unterschied zwischen Wallfahrten und Tourismus? Was sind die Quellen dieser orthodoxen Tradition in Russland? Das offenbart der Artikel von Bischof Mark (Golovkov) von Yegoryevsk. Wallfahrten Die Erscheinung, die in der russischen Sprache traditionell mit dem Begriff „Wallfahrt" ausgedrückt wird, gibt es in verschiedenen Religionen. Trotz des gleichen Namens unterscheiden sich die Traditionen der Wallfahrten sowie die Kriterien zu ihrer Bewertung in den verschieden Religionen wesentlich. Darum ist es richtig, das Wort „Wallfahrt" im vollen Sinne nur in Bezug auf die orthodoxe Pilgerschaft zu verwenden. Das russische Wort „паломник" stammt von dem Wort „пальмовник"[1], was die Übersetzung des entsprechenden lateinischen Wortes ist. Mit diesem Wort wurden ursprünglich die Gottesanbeter bezeichnet, die an den Kreuzprozessionen im Heiligen Land beim Fest des Einzugs des Herrn in Jerusalem teilnahmen (dieses Fest heißt Palmsonntag, oder, in der orthodoxen Tradition, Weidensonntag[2]). Im nachhinein wurden als „паломник" nicht nur die Gottesanbeter bezeichnet, die nach Jerusalem pilgerten, sondern auch solche, die zu anderen Heiligtümern fuhren. Orthodoxe Wallfahrten Auf dem 7. Ökumenischen Konzil, das den Sieg über die Häresie des Ikonoklasmus erbrachte, wurde ein Beschluss gefasst, laut dem Gott gedient werden und den Ikonen Verehrung entgegengebracht werden sollte. Dieser Beschluss, der als Dogma gilt, ist auch mit dem Thema der orthodoxen Wallfahrt verbunden. In der byzantinischen kirchlichen Tradition werden die паломники „Verehrer" genannt. - also Menschen, die eine Reise zur Verehrung der Heiligtümer unternehmen. Da der Beschluss des 7. Ökumenischen Konzils im katholischen Westen nicht akzeptiert wurde, entstand ein Unterschied im Verständnis der Wallfahrten innerhalb des Christentums. In vielen europäischen Sprachen werden Wallfahrer mit dem Wort „Pilger” bezeichnet, das auf Russische einfach „странник" („Wanderer") bedeutet. In der Katholischen Kirche senden Pilger an heiligen Orten Gebete empor und meditieren. Im Katholizismus gibt es aber keine Verehrung der Heiligtümer, die in der Orthodoxen Kirche dagegen besteht. Noch weiter entfernt von der Orthodoxie haben sich die Protestanten, die weder Heilige noch Ikonen noch heilige Reliquien verehren. Aufgrund dieses Unterschieds in der Auffassung der orthodoxen Tradition im Christentum kann nur von orthodoxen Wallfahrten die Rede sein. Wallfahrten und Tourismus Heutzutage begegnen einem häufig Ausdrücke wie „Wallfahrtstourismus", „"Wallfahrtstour", „Wallfahrtsausflug" usw. All diese Wendungen rühren von einem Missverständnis des Wesens der Wallfahrten her - nämlich, dass sie dem Tourismus anhand einer rein äußerlichen Ähnlichkeit gleichgesetzt werden. Sowohl Wallfahrten als auch Tourismus sind mit dem Thema „Reisen" verbunden. Allerdings sind sie, trotz ihrer Ähnlichkeit, unterschiedlicher Natur. Sogar wenn паломники und Touristen dieselben heiligen Orte besuchen, machen sie das auf unterschiedliche Weise. Tourismus meint Reisen zu Bildungszwecken. Eine der populären Tourismusarten ist der religiöse Tourismus. Das Wichtigste bei dieser Art von Tourismus ist, Bekanntschaft mit der Geschichte der heiligen Orte, dem Leben der Heiligen und der Architektur und kirchlichen Kunst zu machen. Über all das wird während eines Ausflugs erzählt, der für die Touristen das wichtigste Element ihrer Reise ist. Ein Ausflug kann auch Teil der Wallfahrt sein; aber doch nicht der wichtigste Teil und keine Pflicht, sondern Hilfsmittel. Das Wichtigste bei den Wallfahrten sind die Gebete, der Gottesdienst und die religiöse Verehrung der Heiligtümer. Orthodoxe Wallfahrten sind Teil des religiösen Lebens jedes gläubigen Menschen. Im Laufe einer Wallfahrt ist während des Gebetes das Wichtigste nicht die äußerliche Ausführung der Riten, sondern die Stimmung, die im Herzen herrscht, und die spirituelle Erneuerung, die dem orthodoxen Christen widerfährt. Wenn die Russische Orthodoxe Kirche ihre Gläubigen zu Wallfahrten aufruft, respektiert sie auch die Touristen, die die christlichen Heiligtümer besuchen. Die Kirche hält den religiösen Tourismus für das wichtigste Mittel der spirituellen Aufklärung unserer Landsleute. Obwohl eine Wallfahrt ihrem Wesen nach eine religiöse Tätigkeit ist, wird sie in der Russischen Föderation immer noch nach touristischen Gesetzen geregelt. Wallfahrtstradition in Russland Russische orthodoxe Wallfahrten gibt es seit den ersten Jahrhunderten der Verbreitung des Christentums im Alten Russland, also ab dem 9. oder 10. Jahrhundert. Das heißt, dass russische orthodoxe Wallfahrten schon seit über 1000 Jahren stattfinden. Die Russen haben die Wallfahrt schon immer als einen sakralen Akt wahrgenommen, der jedem Gläubigen nottut. Zunächst wurden Wallfahrten in Russland als Reisen zu den heiligen Orten zwecks Anbetung Gottes wahrgenommen. Solche heiligen Orte waren das Heilige Land, Ägypten, Athos usw. Allmählich sind auch in Russland eigene Wallfahrtszentren entstanden. Eine Reise zu einem solchen Ort wird immer als spirituelle und körperliche Tugendtat und sogar als Kampf wahrgenommen. Machen sich orthodoxe Christen auf den Weg zu einer Wallfahrt, erhalten sie dafür eine Segnung vom Diözesanbischof oder bei ihrem geistlichen Vater. «Православный паломник», № 5, 2008 [1] Пальмовник: einer, die ein Palmenzweig trägt (von lat., palmarius). (Anm.d.Ü.)
[2] Weide ist der erste Baum, der im Frühling Knospen hat. (Anm.d.Ü.) Quelle: Портал Богослов.Ru |